Neurotische Unlust entsteht, Freud zufolge, als Produkt einer durch Verdrängung verursachten Verwandlung von Lust in Unlust. ... Affekte wie Ekel, Angst, Schuld, Übelkeit, Unmut, Aggression, Neid, Eifersucht etc. können folglich als die ins Negativ verkehrten Formen einer Lust begriffen werden. Gilles Deleuze hat in seinem Kommentar zu Spinoza solche Affekte als »trübsinnige Leidenschaften« bezeichnet. ...
Eine Lust, die nicht sein darf, verschafft sich Durchbruch, indem sie als Unlust ausgelebt und erfahren wird. Weil die Leute solche Affekte als Unlust erfahren, leiden sie; weil dieser Unlust aber Lust zugrunde liegt, können sie dennoch nicht von ihr lassen. ... Dementsprechend lassen sich die Unglücklichen auch kaum aus ihrem Unglück befreien. ... Diese leidenschaftliche Dimension des Verzichts auf Lust verdient deshalb besondere Beachtung, weil sie nicht allein im individuellen Leben auftritt. Sie ist vielmehr auch eine Konstante in der Politik: Es ist ein auffälliges Merkmal gerade der rechten Politik, daß sie es immer wieder fertigbringt, ihre Nachteile in Vorteile zu verwandeln und gerade diejenigen, die von ihr geschädigt werden, zu ihren fanatischen Anhängern zu machen. ...
Wie funktionieren die trübsinnigen Leidenschaften? Warum wird die Lust manifest als Unlust erfahren? Und warum wird die Unlust aufgesucht, als wäre sie ein Glück?
1914, in seinem Aufsatz über den Narzißmus, führt Freud eine Unterscheidung ein, die es ermöglicht, das zu erklären: die Unterscheidung zwischen Ich- und Objektlibido. Entscheidend ist dabei die von Freud postulierte Durchlässigkeit von der einen zur anderen, bei gleichbleibender Gesamtmenge. Wenn also eine Menge sexueller Energie vom Objekt abgezogen wird - z. B. weil das Objekt verlorengegangen ist so kann diese selbe Libidomenge in einem anders gearteten Objekt, nämlich dem Ich, untergebracht werden. ... Bei der Verwandlung von Objektlibido in Ichlibido verändert sich jedoch die Art der Lusterfahrung. Um es in alltäglicheren Begriffen zu formulieren, könnten wir sagen:
Aus Glück wird Selbstachtung. ...
Die Selbstachtung ist stolz, sich selbst für etwas anderes, Kostbareres zu halten als das Glück (zum Beispiel für »interesseloses Wohlgefallen« oder auch für »Pflicht« anstelle von »Neigung«). Die Erkenntnis der Psychoanalyse, daß zwischen Glück und Selbstachtung ein und dieselbe libidinöse Substanz zirkuliert, daß beide also aus demselben Stoff gemacht sind, muß die Selbstachtung prinzipiell vor sich selbst wie vor anderen verheimlichen. Aus dieser Verheimlichung ergibt sich dann gleichermaßen die Stärke wie die Glücksunfähigkeit der Selbstachtung.
Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur