Die Verachtung des Unglücks ist in den Gesellschaften verankert, in der Art wie Menschen zusammenleben. Gewiss, es gibt eine Achtung des Unglücks, eine gelegentlich auch voyeuristische Aufmerksamkeit dafür. Aber intuitiv, also ohne Beweise, habe ich das Gefühl, dass die Verachtung eher darin wirkt, eher daran beteiligt ist, wie alles funktioniert. Die Sehnsucht nach Solidarität bleibt poetisch, während die Konkurrenz den Tag strukturiert.
Franz Schuh, FORTUNA - Aus dem Magazin des Glücks

Vermutlich kann man aus der Einsamkeit keinen Vorteil ziehen.
Jean-Paul Sartre, Der Ekel

Auch das Alleinsein des Daseins ist Mitsein in der Welt.
Martin Heidegger, Sein und Zeit

Ich entsinne mich des Falls ... insbesondere deshalb mit unverminderter Deutlichkeit, weil er am Anfang stand einer völligen Umwandlung in meinem Denken, die mich, im Verlauf des ... folgenden Jahrzehnts, zu einer immer weitergehenden Einschränkung und zuletzt zur Aufgabe meiner psychiatrischen Tätigkeit gebracht hat. Seit ... – ich habe unlängst den 15. Jahrestag meiner Emeritierung gefeiert – lebe ich hier heraußen, je nach Witterung entweder im Boots- oder im Bienenhaus und kümmere mich grundsätzlich nicht mehr um das, was vor sich geht in der sogenannten wirklichen Welt. Zweifellos bin ich jetzt in einem gewissen Sinne verrückt, aber wie Sie vielleicht wissen, sind diese Dinge einzig eine Frage der Perspektive.
W.G. Sebald, Die Ausgewanderten. Vier lange Erzählungen

Es gibt über ein Irrenhaus weniger zu schreiben, als man vermutet. Es existieren nur wenige Dinge, die aussehen, wie sie sind - das trifft aber auf die Anstalt zu. Die Wächter sind freundlich, jedoch entschieden, die Ärzte misstrauen am meisten sich selbst und lasten ihre Selbstzweifel den Insassen an. (Wer kann sich schon mit Pfleglingen wohl fühlen, es sei denn, jemand genießt seine Überlegenheit?)
Gerhard Roth, Landläufiger Tod

Natürlich: Das Gehen, selbst das Gehen im Herzland, wird eines Tages nicht mehr sein können, oder auch nicht mehr wirken. Doch dann wird die Erzählung da sein und das Gehen wiederholen!
Peter Handke, Die Wiederholung

Von dem, was uns fehlt, genesen wir nie, wir arrangieren uns, erzählen uns andere Wahrheiten. Wir leben mit uns selbst und mit der Sehnsucht nach Leben, wie alte Leute.
Margaret Mazzantini, Das schönste Wort der Welt

Scham ist Schuldgefühl über eigenes Unvermögen.
Christoph Türke, Natur und Gender. Kritik eines Machbarkeitswahns

Bei allen Begierden muß man sich fragen: Was geschieht, wenn mein Begehren befriedigt ist, und was, wenn es nicht befriedigt wird?
Epikur, Aphorismen

Im Gram

Ein Menschenleben füllt nicht hundert Jahre,
Doch immer ist es voll von tausend Jahren Sorge.
Der Mittag kurz, und bitter lang die Nächte!

Warum nicht greifst du nach der Lampe, gehst,
Die kurzen Freuden dir zu suchen, wenn nicht heute?
Was willst du warten, Jahr um Jahr?

Ein Narr, der lieber spart als zu verschwenden!
Die nach ihm kommen, werden sein nur lachen.
Nicht jeder steigt wie jener Heilige der Berge
Auf weißem Kranich auf in die Unsterblichkeit!

Ungenannter Dichter, China, spätere Han-Zeit (25-220)

Gerade weil man Liebe zuletzt nicht anders definieren kann denn als die höchste Form von Aufhebung aller Herrschaft, bleibt sie so fundamental an alles geknüpft, was in ihrem Umkreis Herrschaft ist und heißt. Die Herrschaft des Geschlechts im Patriarchat, der Klasse in der ständischen Gesellschaft, des akkumulierten Geldes im kapitalistischen, des Verwaltungsapparats im sozialistischen Staat und alle ihre vielfachen Interferenzen und Überlagerungen, sie geben im Augenblick der Liebe einen Ort frei, wo alle Macht aufgehoben ist, wo alles schwebt und ruht – wie im Auge des Orkans.
Peter von Matt, Liebesverrat