Religionen und Ideologien, die das Loch des Seins mit Sinn stopfen, werden wohl immer wieder triumphieren. Darin liegen ihre Stärke und ihre Macht, was umgekehrt bedeutet, dass alles, was die Löcher des Seins mit Sinn zu stopfen vermag, Religion werden kann. Der Fortschritt der Geistigkeit, oder wie Freud es sich erhoffte, die »Stimme des Intellekts« wird diesen Wunsch nach dem Göttlichen zwar nicht überwinden können, gewiss aber mäßigen.
Michael Schmid, Das Paradox des sozialen Bandes. Psychoanalytische Perspektiven

Das Problem des Glaubens ist kein intellektuelles, sondern ein moralisches: Nicht mangelhafte Denkbarkeit der Idee wirft das Problem der Glaubwürdigkeit auf, sondern die gering anmutende Eignung des Ideals zur Identifizierung mit ihm.
Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur

Die Psychoanalyse begründet primär keine Moral, sondern untersucht die Ursprünge und Bedingungsfaktoren moralischer Einstellungen, die sie bewusst macht, mit dem Ziel, dass sie entweder in die bewusste Verantwortung übernommen oder aber abgebaut werden können.
Joachim Küchenhoff, Für Unverfügbares offen bleiben. PSYCHE 3/2021

Ich denke, wir können die Welt nur über eine „Ideologie“ aufnehmen, d.h. über ein strukturiertes Vorurteil.
Christian Schacht, „Vielleicht ist es so.“ Protokoll einer Psychoanalyse

Schon Aristoteles unterscheidet die Wirkursache von der Zweckursache, die causa efficiens von der causa finalis, jene ist der Grund, aus dem, diese der Zweck, zu dem etwas geschieht. Die Wissenschaft der Neuzeit eliminiert nach und nach die Zweckursachen aus unseren Erklärungsmodellen: In einer gottlosen Welt passieren die Dinge aus Gründen, aber nicht zu Zwecken. Beim Erzählen jedoch bleiben Zwecke unverzichtbar, und der Erzähler spielt, ob er das will oder nicht, in seinem eigenen beschränkten Kosmos Gott. In der Realität walten die Gesetze der Physik, in der Erzählung aber die Zwecke der Dramaturgie.
Daniel Kehlmann, Kommt, Geister. Frankfurter Vorlesungen

Jeder prüfe seine Gedanken. Er wird finden, daß sie ganz mit der Vergangenheit oder der Zukunft beschäftigt sind. Wir denken fast überhaupt nicht an die Gegenwart, und wenn wir an sie denken, so nur, um aus ihr die Einsicht zu gewinnen, mit der wir über die Zukunft verfügen wollen. Die Gegenwart ist niemals unser Ziel.
Die Vergangenheit und die Gegenwart sind unsere Mittel; allein die Zukunft ist unser Ziel. Deshalb leben wir nie, sondern hoffen auf das Leben, und da wir uns ständig bereit halten, glücklich zu werden, ist es unausbleiblich, daß wir es niemals sind.
Blaise Pascal, Gedanken

Es gibt nur einen angeborenen Irrtum und es ist der, daß wir da sind, um glücklich zu sein. Angeboren ist er uns, weil er mit unserm Dasein selbst zusammenfällt und unser ganzes Wesen eben nur seine Paraphrase, ja unser Leib sein Monogramm ist: sind wir doch eben nur Wille zum Leben; die sukzessive Befriedigung alles unsers Wollens aber ist, was man durch den Begriff des Glückes denkt.
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung

Solange man wünscht, braucht man nicht glücklich zu sein; man erwartet es zu werden; wenn das Glück nicht kommt, so verlängert sich die Hoffnung und der Reiz der Täuschung dauert so lange, als die Leidenschaft, aus der sie entspringt. So ist dieser Zustand sich selbst genug, und die Unruhe, die er verursacht, ist eine Art Genuß, der für die Wirklichkeit entschädigt und vielleicht mehr wert ist, als sie. Wehe dem, der nichts mehr zu wünschen hat! Er verliert, so zu sagen, alles, was er besitzt. Man hat weniger Genuß von dem, was man verlangt, als von dem, was man hofft, und man ist nur glücklich, ehe man glücklich ist. ... Das Land der Träume ist das einzige in dieser Welt, das würdig ist, bewohnt zu werden, und so groß ist die Nichtigkeit der menschlichen Dinge, daß außer dem Wesen, welches durch sich selbst ist, nichts schön ist, als was nicht ist.
Jean Jacques Rousseau, Julie oder Die neue Heloise: Historischer Roman

Das Glück ist kein leichtes Ding. Es ist sehr schwer in uns zu finden, und vergeblich, anderswo danach zu suchen.
Nicolas Chamfort (1741 – 1794)

Unlängst hat mich eine junge Journalistin gefragt, ob ich glücklich bin. Junge Leute stellen solche Fragen, die wissen noch nicht, dass Glück etwas für Augenblicke ist und man damit zufrieden sein muss, zufrieden zu sein.
Christine Nöstlinger