Kurzum: es gibt auch in unserer Disziplin so etwas wie Fortschritt, aber das ist kein geradliniger Prozess. Wer mit neuen Ideen hervortritt, kann nicht auf Zustimmung hoffen, wenn diese Ideen außerhalb des von der Mehrheit oder von den wichtigen Leuten Akzeptierten liegen. Ideen konsensfähig zu machen, heißt gleichzeitig, ihnen die Würde von Wahrheit zu verleihen. Wahrheit muss in unserer Disziplin, wie in vielen anderen geisteswissenschaftlichen und in der Kunst in sozialen Diskursen ausgehandelt werden und kann sich nicht auf eine Deckungsgleichheit mit irgendwelchen nicht verhandelbaren Gegebenheiten berufen. Weil ihnen deshalb jene eherne Qualität mangelt, die die eine Wahrheit auszeichnet, sie also weich sind, müssen sich unsere Wahrheiten die Frage nach ihrer moralischen Qualität gefallen lassen und es ist unvermeidlich, dass sich die Frage nach ihrer Moral überdies noch mit derjenigen nach ihrer Ästhetik verbindet. Das Wahre unserer Theorien ist also nicht, wie das wünschbar und in der Wissenschaft scheinbar gegeben ist, unabhängig von ihrem Guten und Schönen.
Piere Passett, Die Zweideutigkeit des Analytikerwerdens. Werkblatt Nr. 63